Klage: Beispiel 061

gegen das Jobcenter Märkischer Kreis


Thema: Partnervermittlung Jobcenter

Wohngemeinschaft oder Bedarfsgemeinschaft; Mitwirkung; Auskunftspflicht und Mitwirkungspflicht unbeteiligter Dritter;
Strafanzeige bei unterstelltem "Sozialleistungsbetrug"; mangelhafte Recherche bei Staatsanwaltschaft;
Täuschung des Richters durch Jobcenter-Akte




SGB I §§ 60, 66


§ 66 SGB I Folgen fehlender Mitwirkung

(1) Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nach
und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert,
kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen,
soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind.
Dies gilt entsprechend, wenn der Antragsteller oder Leistungsberechtigte in anderer Weise absichtlich die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert.




§ 60 SGB II Auskunftspflicht und Mitwirkungspflicht Dritter

(1) Wer jemandem, der Leistungen nach diesem Buch beantragt hat oder bezieht, Leistungen erbringt,
die geeignet sind, diese Leistungen nach diesem Buch auszuschließen oder zu mindern,
hat der Agentur für Arbeit auf Verlangen hierüber Auskunft zu erteilen,
soweit es zur Durchführung der Aufgaben nach diesem Buch erforderlich ist.




Widerspruch W 1656/14

Sozialgericht Dortmund, Az.: S 19 AS 2439/14 ER, 17.07.2014

Bußgeldbescheid OWi-EV-35502-00867/14--355D57925



        Kurze Einleitung

Eine Wohngemeinschaft ist keine Bedarfsgemeinschaft.

Mit Schreiben vom 05.06.2014 forderte der zuständige Sachbearbeiter eine leistungsberechtigte Frau im Rahmen einer (lediglich behaupteten) Mitwirkungspflicht auf Unterlagen eines Mitbewohners der siebenköpfigen Wohngemeinschaft vorzulegen. Ein junger Mann ging einer Erwerbstätigkeit nach und war kein Kunde des Jobcenters. Außerdem war das Jobcenter darüber unmissverständlich in Kenntnis gesetzt worden, dass keine Beziehung, keine Einstandsgemeinschaft, vorliege. Trotzdem forderte der Sachbearbeiter unter Androhung einer Leistungssperre rechtsgrundlos die Vorlage verschiedener Dokumente zu Einkommen und Vermögen des unbeteiligter Dritten, z.B.
"Anlage EK, VM (jeweils nebst denentsprechenden Unterlagen), VE, Einkommensbescheinigungs vom Arbeitgeber ausgefüllt ., die Kontoauszüge der letzten 3 Monate . - komplett. s. Schreiben vom 12.05.2014)"

Für das Jobcenter war der Mann kein Kunde, sondern lediglich ein unbeteiligter Dritter. Aus der Tatsache, dass die Wohngemeinschaft seit mehr als einem Jahr Bestand hatte, versuchte das Jobcenter als nun eine "Bedarfsgemeinschaft" zu konstuieren, um Kosten zu sparen. Allerdings hatte sich nie eine Beziehung entwickelt. Als die geforderten Unterlagen des Mitbewohners nicht eingereicht wurden, wurden die Leistungen der Frau kurzerhand eingestellt.

Solche Forderungen verletzen regelmäßig Sozialdatenschutzbestimmungen. Diese und drei weitere vom Jobcenter Märkischer Kreis bekannte Verstöße fanden u.a. Eingang in den aktuellen 25. Tätigkeitsbericht zum Datenschutz 2013 - 2014   . vom Mai 2015. (ab S. 165; S.241)

Nachdem sich das Sozialgericht überzeugt hatte, dass die Vorraussetzungen für eine Bedarfsgemeinschaft nicht vorlagen, wurde das Jobcenter Märkischer Kreis verpflichtet die geschuldeten Leistungen nachzuleisten

Doch dann hatte ein Jobcenter-Mitarbeiter eine Idee: Wenn Äpfel keine Birnen sind, vielleicht sind aber Birnen doch Äpfel . . . ?
Und am gleichen Tag, als er die Nachleistung an die junge Frau veranlasste, leitete er ein Bußgeldverfahren gegen einen unbeteiligten Dritten ein . . .



Rechtsanwalt Lars Schulte-Bräucker berichtet über das OWi-Verfahren vor dem Amtsgericht Iserlohn









         Chronologie



12.05.2014     Der Jobcenter-Mitarbeiter stellt die Forderung auf Vorlage von Dokumenten eines Mitbewohners.

05.06.2014     In einer Erinnerung zur Mitwirkung macht der JC-Mitarbeiter

16.06.2014     Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

24.06.2014     In einer persönliche Stellungnahme beantwortet die Klägerin Rückfragen des Gerichts.

03.07.2014     Versagungs-/Entziehungsbescheid nach § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I)

08.07.2014     Stellungnahme

11.07.2014     Widerspruch

14.07.2014     Der PKH Beschluss bewilligt die Beiordnung des Anwalts unter Berücksichtigung der Schwierigkeit von Sach- und Rechtslage.

17.07.2014     Aufhebungsbescheid

18.07.2014     Das Jobcenter Märkischer Kreis knickt ein um einem Urteil zuvor zu kommen.

23.07.2014     Bestätigung der Aufhebung an Rechtsanwalt

Nachspiel


Das SG Dortmund hatte sich hinreichend überzeugt, dass der Klägerin keine Einstandsgemeinschaft innerhalb der Wohngemeinschaft nachgewiesen werden konnte. Das Jobcenter musste in der Konsequenz die geschuldeten Leistungen in Höhe von beinahe 1440,00 € nachzahlen. Außerdem musste das Jobcenter die Anwaltskosten zahlen. Und während für die erfolgreiche Klägerin ein Aufhebungsbescheid erlassen wurde, wurde dem Mitbewohner mit gleicher Post ein Aufforderung zur Mitwirkung zugeleitet. Dieser wurde ausgerechnet damit begründet, dass erneut eine Bedarfsgemeinschaft unterstellt wurde.

Als die Mitwirkung durch den Erwerbstätigen verweigert wurde, wurde ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen den jungen Mann eingeleitet, indem zunächst ein Bußgeld in Höhe von 500,00 € verfügt wurde, gegen das Einspruch eingelegt wurde.
Aber anstatt einer gründlichen Sachprüfung und einer daraus resultierenden Einstellung von Amts wegen, strengte das Jobcenter Märkischer Kreis ein Ordnungswidrigkeitsverfahren bei der Hagener Staatsanwaltschaft an




17.07.2014     Aufforderung zur Mitwirkung

28.08.2014     Aufforderung zur Mitwirkung fur den Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts

18.09.2014     Ermittlungsverfahren wegen Verdachts einer Ordnungswidrigkeit

21.10.2014     Bußgeldbescheid über 500,00 €

Der Bußgeldbescheid vom 21.10.2014 suggeriert, der Sachbearbeiter K.-U. A. habe die Vorgänge geprüft und einen vorsätzlichen Verstoßes gegen § 60 Abs. 4 Satz 1 SGB II festgestellt. Als Beweismittel nennt er ausgerechnet die Leistungsakte der Mitbewohnerin mit dem Aktenzeichen 35502BG00XXXXX und dazu noch seine selbst erstellte Akte. Damit demaskiert er sich selbst. Denn gerade eine sorgfältige Prüfung hätte sofort gezeigt, dass nach erfolgreichem ER-Verfahren (22.07.2014), dem Einknicken der Widerspruchstelle (18.07.2014), dem Aufhebungsbescheid (17.07.2014) und dem neu erlassenen Bewilligungsbescheid (17.07.2014) gar keine Bedarfsgemeinschaft vorliegt und somit auch kein Auskunftsanspruch gegen den Mann.

Offensichtlich ohne Nachzudenken heißt es auch drei Monate nach gerichtlicher Klärung in der Begründung zum Bußgeldbescheid:
"Sind Einkommen oder Vermögen des Partners zu berücksichtigen, hat dieser Partner dem Leistungsträger auf Verlangen hierüber Auskunft zu erteilen, soweit es zur Durchführung der Aufgaben nach diesem Buch erforderlich ist (§ 60 Abs. 4 Satz 1 SGB II i. V. m. § 44b Abs. 3 SGB II)."

Was sagt dies über die Arbeitsqualität der Ordnungswidrigkeitenstelle aus?

30.10.2014     Bewilligungsbescheid, vorläufig   .

30.10.2014     Gegen den Bußgeldbescheid wird Einspruch eingelegt.

31.10.2014     Eingangsbestätigung des Einspruchs

06.11.2014     Absprachewidrige Gebührenkürzung
Jobcenter-Mitarbeiter des Jobcenter Märkischer Kreis betrügen nicht nur Leistungsempfänger, sondern offensichtlich auch Anwälte (hier: Kostennote), obwohl die Gebühren im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz festgeschrieben sind.


01.12.2014     Änderungsbescheid     .

13.02.2015     Mandatsanzeige

19.02.2015     Hauptverhandlung

Der Termin zur OWi-Verhandlung wies für die anwesenden Prozessbeobachter einige Überraschungen auf.
So war trotz des eingelegten Einspruchs weder ein Vertreter der Staatsanwaltschaft, noch des Jobcenters anwesend. Richter Ozimek räumte ein auf eine Einladung eines Jobcenter-Vertreters verzichtet zu haben: "die kommen ja eh nie".

Rechtsanwalt Lars Schulte-Bräucker hatte erst kurz vor der Verhandlung Gelegenheit die Akte einzusehen. Im Termin stellte er gleich zu Beginn heraus, dass die kleine Auswahl der dem Gericht vorgelegten Dokumente, den vollständigen sozialrechtlichen Gesamtzusammenhang ausblendeten.

Der Richter staunte nicht schlecht, als er darüber informiert wurde, dass bereits in der Vorgeschichte in einem ER-Verfahren beim Sozialgericht Dortmund festgestellt worden war, dass der Vorwurf einer Mitwirkungspflicht über die Einkommensverhältnisse des hier Vorgeführten nie bestanden hatte.

Schulte-Bräucker: "Das Jobcenter selbst räumt mit der Bescheiderteilung vom 17.07.2014 an die Mitbewohnerin ein, dass keine Bedarfsgemeinschaft besteht". Dann arbeitete er die Unterschiede zwischen Wohngemeinschaft und Bedarfsgemeinschaft heraus und informierte den Richter, dass der junge Mann überhaupt kein Kunde des Jobcenters sei.

Der gleiche Sachbearbeiter, der im Bewilligungsbescheid der Frau wusste, dass keine Bedarfsgemeinschaft besteht, unterstellt noch am gleichen Tag dem jungen Mann "sie sind deren Partner". Die Bewertung der Glaubwürdigkeit der sich gegenseitig ausschließenden Behauptungen, überlies der Anwalt dem Richter: ". . . also wurde eine Aussage zu einer Bedarfsgemeinschaft, die nicht existiert . . . ". Richter Ozimek stellte das Verfahren ein.

Zwei der Prozessbeobachter hatten über das verfahrene Verfahren berichtet.

„Qualitätsarbeit“ im Jobcenter MK

Jobcenter Märkischer Kreis blamiert sich in mutwillig provoziertem OWi-Verfahren

Sollte dieser Termin beispielhaft für ähnliche Verfahren sein, so drängt sich der Gedanke auf, dass viele Betroffene unschuldig abgeurteilt werden, weil ihnen für gewöhnlich keine Prozesskostenhilfe bewilligt wird, und die meist unerfahrenen Leistungsberechtigten einer Gerichtsbarkeit ausgeliefert sind, die nur unzureichend Fachkenntnis im Sozialrecht aufweist.

Vergleichbar mit der Situation in der Medizin: wer Augenprobleme hat, geht nicht zum Herzspezialischen, und Orthopäden führen im Normalfall keine Kieferoperationen durch.








         Urteile zum Thema: Partnervermittlung Jobcenter



         Infos zum Thema: Partnervermittlung Jobcenter





         Presseberichte zum Thema: Partnervermittlung Jobcenter


2015-02-26 lokalkompass.de    Jobcenter Märkischer Kreis blamiert sich in mutwillig provoziertem OWi-Verfahren    .

2015-02-21 lokalkompass.de    „Qualitätsarbeit“ im Jobcenter MK    .

2013-01-25 svz.de    Eine Hagenerin kämpft gegen das Jobcenter    .









         Forenbeiträge zum Thema: Partnervermittlung Jobcenter


2011-05-09 gegen-hartz.de Welche Dokumente & Nachweise darf das JobCenter fordern?

gegen-hartz.de Thema: Iserlohn: "Qualitätsarbeit" im Jobcenter MK - (Verhandlung Bedarfsgemeinschaft)

         Fazit:

Das Jobcenter Märkischer Kreis verursachte durch das hartnäckig uneinsichtige Verhalten der Widerspruchstelle
Folgekosten in Höhe von mehreren Einhundert € für die Steuerzahler.
  • Arbeitszeit des Richters, Sozialgericht
  • Arbeitszeit der Widerspruchstelle
  • Anwaltskosten
  • Kostenerstattung für den Widerspruch,
  • Arbeitszeit Staatsanwalt
  • Arbeitszeit des Richters, Amtsgericht
  • Anwaltskosten
  • Verfahrenskosten, OWi
  • Portokosten des Jobcenter MK , an den Kunden, das Gericht

Hier wird deutlich, warum die Kosten für Hartz IV tatsächlich explodieren.






                       
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