Thema: Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes,
Individualisierungsanspruch SGB X § 45
SG Dortmund, S 10 (27) AS 265/07
W 1673/07 "Der Bescheid vom 30.05.2007 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 26.06.2007 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin." Kurze Einleitung Die Klägerin lebt seit Januar 2005 mit ihrer minderjährigen Tochter als Bedarfsgemeinschaft zusammen. Die Wohnung ist angemessen. Einkünfte aus Erwerbseinkommen gibt es nicht. Bei der Tochter kommen Kindergeld und Unterhaltsleistungen zur Anrechnung. Die ARGE MK stellt zur Bearbeitung jedes Erstantrages eine eigene Liste aller benötigten Nachweise zur Verfügung. So weit, so gut. Mit Schriftsatz vom 10.05.2007 behauptet die ARGE Märkischer Kreis überraschend, bei 7 Bewilligungsbescheiden sei es zu Überzahlungen gekommen. Die fehlerhaften Bescheide wurden von drei oder evtl. auch vier verschiedenen Sachbearbeitern erstellt. Die ARGE MK forderte jetzt 1.150,00 € zurück. Ein Schock. Die Kundin hatte doch ihrer Mitteilungspflicht stets vollständig und zeitnah entsprochen und war sich überhaupt keiner Schuld bewusst. Nachdem der Widerspruch rechtswidrig abgelehnt wurde, war eine Klage vor dem Sozialgericht Dortmund unumgänglich. Das Maß war dann aber endgültig voll, als die ARGE Märkischer Kreis die arbeitssuchende Kundin auch noch zu kriminalisieren suchte und aus diesem Grund ein ''Ermittlungsverfahren wegen Verdachts einer Ordnungswidrigkeit nach § 63 Abs. 1 Nr. 6 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)'' einleitete. Die unschuldig Beklagte wehrte sich zunächst erfolgreich mit einer Strafanzeige wegen Amtsmissbrauch und Nötigung indem sie die Staatsanwaltschaft aufforderte, die sie betreffenden Verwaltungsvorgänge der ARGE MK auf Rechtmäßigkeit zu untersuchen. - Nur wenige Tage nach Einschaltung der Staatsanwaltschaft wurde das OWi-Verfahren klammheimlich eingestellt. Als Grund wurde jetzt Verjährung vorgeschoben. Mit diesem massivem Widerstand hatte die ARGE MK offensichtlich nicht gerechnet. Die behauptete Überzahlung aber wollte man doch kassieren . . . Als am 26.05.2008 die Klage verhandelt wird, ist die Widerspruchstelle der ARGE MK bereits ausreichend demontiert. Der Leiter der Widerspruchstelle hat den schlüssigen Argumenten nichts wirklich Kluges entgegenzusetzen. Der vorsitzenden Richterin blieb nichts anderes übrig als die Schlechtleistung der Mitarbeiter der Arge Märkischer Kreis bescheinigen: Der Aufhebungsbescheid ist rechtswidrig. Auf einer Presseveranstaltung am 15.02.2008 hatte der Präsident des Dortmunder Sozialgerichts, Martin Löns, dargelegt: "44 % aller Rechtsstreite um die Grundsicherung für Arbeitsuchende endeten im Jahre 2007 mit vollem oder teilweisen Erfolg der klagenden Langzeitarbeitslosen. [...]" und dann beklagt Gerichtssprecher Ulrich Schorn die Schlechtleistung der ARGEn: "Sorgen bereitet dem Gericht, dass die Qualität von Entscheidungen der Grundsicherungsträger gegenüber der Hartz IV-Startphase im Jahre 2005 nicht spürbar zunimmt. Gerichtssprecher Ulrich Schorn: "Steigende Klageeingänge und die Erfolgsquote im Jahr 2007 lassen den Schluss zu, dass Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen oftmals nicht in der Lage sind, für die Betroffenen verständliche und gerichtsfeste Bescheide zu erlassen. So ist vielen Sachbearbeitern nicht klar, welche Voraussetzungen die Aufhebung eines Bewilligungsbescheides hat oder wie im Einzelfall die Angemessenheit von Wohn- und Heizkosten zu beurteilen ist."" Daran wird sich wohl auch 2008 nichts ändern . . . Themen: Rückforderung - Individualanspruch - Nichthaftung Minderjähriger für Falschberechnung - Verjährungsfristen |
§ 45 SGB X Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes |
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(1) | Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. |
(2) |
Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit
1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. der die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. |
(3) |
Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn
1. die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder 2. der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde. In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird. |
(4) |
Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. |
(5) | § 44 Abs. 3 gilt entsprechend. |
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Chronologie | |
Abbuchungen Recklinghausen rückgängig machen und Rückerstattung plus Zinsen einleiten | |
24.10.2008 | Mit Zahlungsaufforderung an die Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen werden die geleisteten Raten in Höhe von 90,00 € samt Zinsen und Auslagen zurückgefordert. X |
21.07.2008 | Ohne weitere Prüfung und ohne jeden Einzelnachweis wurde der Kostenantrag bewilligt und zwar in der geforderten Höhe von 40,00 €. Auf die erste mündliche Anfrage an den Leiter der Widerspruchstelle durch den Beistand bezüglich einer möglichst unbürokratischen Bewilligung, hieß es noch: "Reichen Sie erst einmal die Belege ein, wir werden sie dann prüfen . . .". - Wer weiß, wieviel Zeit und Geld diese "Prüfung" den Steuerzahler wieder zusätzlich gekostet hätte. Diesmal hat der Landrat des Märkischen Kreises als oberster Dienstherr der Arge Märkischer Kreis auf Antrag der Klägerin offensichtlich zuerst den Leiter der Widerspruchstelle geprüft. - Das erwies sich als der schnellere und erfolgreichere Weg. Außerdem ist das zumindest für die Kunden weniger stressig. |
04.07.2008 | Jetzt müssen die außergerichtlichen Kosten beigetrieben werden. Um diesmal kleinliche Pfennigfuchsereien der Widerspruchstelle zu umgehen, wird die Forderung der Kostenerstattung gleich an den Vorsitzenden der Lenkungsgruppe der ARGE MK zugestellt. Zur Vereinfachung und zum Beweis wurde dem Schreiben das Urteil sowie die Pressemeldung des Sozialgerichts beigelegt. |
26.05.2008 | Sitzungsprotokoll und
Urteil |
26.05.2008 | Vollmacht als Beistand | 16.04.2008 | Terminvorladung zum 26.05.2008, 8:15 Uhr beim SG Dortmund | 27.09.2007 | Ω (OWiG) - Auch die Strafanzeige wegen Nötigung soll eingestellt werden. | 14.08.2007 | Ω (OWiG) - Das Ermittlungsverfahren wird eingestellt wegen ''Verjährung'' (OWiG § 31) - nicht etwa wegen der Strafanzeige | 11.08.2007 | Ω (OWiG) - Mit einer Mail an die Abt. Ordnungswidrigkeiten wird die Aussetzung des Verfahrens beantragt unter Berufung auf die Klage und die Strafanzeige. |
12.08.2007 | Die Klagebegründung wird nachgereicht. Beweise: 1; 2; 3; |
26.07.2007 | Ω (OWiG) - In einer Antwort-Mail an die ARGE Abt. Ordnungswidrigkeit wird Zeitaufschub beantragt |
24.07.2007 | Ω (OWiG) - Zur schnellstmöglichen Einstellung der Schikanen wird Strafanzeige wegen Amtsmissbrauch im Ordnungswidrigkeitsverfahren gestellt. Damit soll der Staatsanwaltschaft Gelegenheit gegeben werden, die interne Praxis der ''Kundenbetreuung'' kennenzulernen. |
20.07.2007 | Zustellung der Eingangsbestätigung der Klage |
13.07.2007 | Klageerhebung - gegen die Rückforderung angeblicher Überzahlungen |
12.07.2007 | Anstatt die Rechtskraft abzuwarten, besteht die Regionaldirektion im Stundungsbescheid weiterhin auf Raten auf die ungerechtfertigte Forderung. |
06.07.2007 | In einer Mail an die Regionaldirektion NRW wird auf die fehlende Rechtskraft der Forderung hinwiesen. Nach drei Raten á 30,00 € wird die Zahlung mit sofortiger Wirkung eingestellt. |
05.07.2007 | Ω (OWiG) - Zustellung der Ankündigung eines Ermittlungsverfahrens. wegen Verdachts einer Ordnungswidrigkeit. |
28.06.2007 | Mit Zahlungsaufforderung der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen fordert die Bundesagentur 1150,00 € XXX |
26.06.2007 | Widerspruchsbescheid |
22.06.2007 | Formloser Widerspruch |
30.05.2007 | Aufhebungs- und Erstattungsbescheid |
27.05.2007 | Antrag auf Fristverlängerung für die Widerspruchsbegründung gestellt |
13.05.2007 | In einer ersten Antwort werden die Vorwürfe unter Berufung auf SGB X § 45 zurückgewiesen. |
10.05.2007 | Zustellung der Anhörung. Der Vorwurf: es sei zu Überzahlungen bei der minderjährigen Tochter gekommen, da Unterhaltsleistungen nicht angemessen angerechnet worden seien. |
Urteile zum Thema: LSG Hessen Az.: L 9 AS 33/06, 22.03.2007 - Kein Rückforderungsrecht gegen Bedarfsgemeinschaften, Grundsatz des Individualanspruchs LSG Niedersachsen-Bremen Az.: L 13 B 3/06 AS, 20.02.2007 - Rückforderung, Vertrauensschutz, grobe Fahrlässigkeit SG Koblenz Az.: S 11 AS 305/05, 14.06.2006 - Bewilligungsbescheid überprüfen, Verschulden der Eltern kann minderjährigen Kindern nicht zugerechnet werden SG Schleswig Az.: S 9 AS 834_05, 06.06.2006 - Der Grundsatz eines Individualanspruchs gilt auch im SGB II. Infos zum Thema: Rückforderung von ALG II und der Individualisierungsgrundsatz Fazit: Die ARGE MK verursachte durch sich wiederholende inkompetente Sachbearbeitung, durch das hartnäckig uneinsichtige Verhalten der Widerspruchstelle und das vorschnelle und unüberlegte Beschuldigen der "Abteilung Ordnungswidrigkeit" Folgekosten in Höhe von mehreren Einhundert € für die Steuerzahler. Im vorliegend geschilderten Fall hätte schon der Lohn für Sachbearbeiter eingespart werden können . . . Hier wird deutlich, warum die Kosten für Hartz IV tatsächlich explodieren. Hier einige Reaktionen auf diese Fallschilderung aus Internetforen: "ARGE MK – Rechtswidrige Rückforderungen beim Sozialgericht abgewehrt" "ARGE MK – So treibt man die entstandenen Kosten für Widersprüche ein" weiter Links auf die Seite: www.sozialbetrug.org Forum: "Urteile und Rechtliches" www.carmilo.de Forum: "Hartz IV - alltägliche Schikanen" Gesamtzugriffe (eingestellt am 20.07.2008) Stand: 22.07.2008 = ca. 530 Views und 6 Kommentare Stand: 27.07.2008 = ca. 830 Views und 8 Kommentare Stand: 30.07.2008 = ca. 1300 Views, 2 x verlinkt und 8 Kommentare Stand: 19.12.2009 = ca. 7370 Views, 2 x verlinkt und 15 Kommentare
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